Unter den Kostbarkeiten, die das herzogliche Haus Anhalt
von seinen Vorfahren her besitzt, befindet sich ein seltsamer Ring. Er
ist von feinem blassen Golde und mit Diamanten geziert. Niemand weiß,
wer ihn angefertigt und wer ihn getragen hat. Eine Fürstin von früher
muß es gewesen sein, denn der Ring ist ein Damenring. Er ist auch
nicht ringsum geschlossen, wie die Ringe heute alle sind, vielmehr unten
offen. Das ist auch ein Zeichen seines hohen Alters. Er wird der Krötenring
genannt. Die Sage ist es, der er diesen Namen verdankt. Und diese Sage
erzählt folgendes:
Vor alten Zeiten lebte in Dessau eine Fürstin,
die war so gütig und mildtätigen Herzens, daß sie nur
immer darauf bedacht war, den Menschen, die es nötig hatten, Gutes
zu erweisen. Wer von den Untertanen Not litt oder Sorgen hatte, kam zu
ihr, und wenn sie irgend konnte half sie mit ihrem Rat und ihren Gaben.
Wie für die Menschen, Brocken unt Brotsamen, die beim Essen abfielen,
nicht achtlos beiseite, sondern strich sie fein sorgsam auf dem Mundtuche
zusammen und schüttet sie vor das Fenster. auf daß die Vögel
davon Speise hätten. Das tat sie jeden Tag und freute sich, wenn
es den kleinen Sängern oder auch den nitznutzigen Spatzen schmeckte.
Eines Tages sah sie nun, wie eine große Kröte schwerfällig
auf dem Boden dahinkroch, unter dem Fenster der Fürstin stille hielt
und von den Brotsamen, die auf die Erde gefallen waren, nahm. Von da ab
kam das Tier jeden Tag, lange Zeit hindurch.
In einer Nacht nun lag die Fürstin zu Bett und konnte nicht schlafen.
Da stand mit einem Male einde fremde Frauensperson mit einer Laterne in
der Hand vor ihrem Lager. Wie sie hereingekommen, war ganz rätselhaft.
Die Fürstin erschrak zuerst sehr, aber die Fremde sagte, sie möge
sich nicht sorgen, sie habe nichts böses im Sinne. Ihre Frau Kröte
habe sie gesandt, um der Fürstin für die Brocken Brotes zu danken,
die sie unter dem Fenster des Schlosses erhalten habe, und schicke ihr
aus dankbarer Erkenntnis einen Ring. Diesen möge die Fürstin
aber wohl verwahren und dafür Sorge tragen,daß er immerdar
im fürstlichen Hause bleibe. Solange dies gehalten werde, solle es
den im Schlosse Wohnenden vom Stamme des Hauses Anhalt wohlergehen und
der Stamm werde nicht aussterben. IN der Christnacht aber solle man im
Schlosse fleißig aufsicht auf das Feuer haben, weil sonst in einer
solchen heiligen Nacht das Schloß leicht in Brand geraten und ganz
und gar abbrennen könnte. Damit verschwand die Frauensperson so geheimnisvoll,
wie sie gekommen war, und die Kröte wurde von da an nicht wieder
unter dem Fenster gesehen.
Quelle:
Heese, Bernhard (Herausgeber)
Anhaltisches Sagen- und Geschichtenbuch
Reprint der Ausgabe Dessau, Heimatbücher, 1925
Dessau, Anhaltische Verlagsgesell, 1991
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Die Sage vom Krötenring II
Die Fürstin, der der ring zum Geschenk gemacht
wurde, lag eines Nachts zu Bette und konnte nicht schlafen. Da kam eine
Frauensperson mit einer Laterne vor ihr Lager und bat sie sehr höflich
undf flehend, sie möge doch aufstehen und mit ihr kommen. Denn Ihre
Frau liege in Kindesnöten schwer danieder und könne nicht entbinden,
wenn die Fürstin ihr nicht mit ihrem Trostspruch zur Seite stehe.
Die Fürstin mochte sich zwar erst nicht auf dieses seltsame Abenteuer
einlassen, aber die Frauensperson, die eine Wendin aus einem der an der
Mulde gelegenen kleinen Dörfer zu sein schien, bat so flehentlich
und versicherte immer wieder, daß die Fürstin ohne alle Fährnisse
hin und zurück geleitet werden würde, daß sie sich endlich
erhob, ankleidete und mit der Wendin ging. Sie stiegen zuerst in den Keller
des Schlosses hinab und kamen vor eine für gewöhnlich verschlossene,
alte Tür. Die Führerin öffnete sie ohne Mühe, und
ein feuchter, dunkler Gang wurde sichtbar. Die Frau mit der Laterne stieg
ein paar Stufen hinab und bat die Fürstin, ihr unverzagt zu folgen.
Wohl graute es der Dame, aber sie überwand sich und schritt beherzt
der Fremden nach. In dem Gange lebte es von Schlangen, Molchen und anderen
scheußlichen Nachtgetier. Von den Wänden rann das Wasser, und
die Luft war feuchtkalt und drückend, daß die Fürstin
erst meinte, sie müsse ersticken. Doch sie ging mutig weiter. Da
hörte sie über sich das Wasser des Wehrs brausen und die Räder
der Mühle knirschen und in das Wasser schlagen. Sie ging also unter
der Mulde und der Mühle durch. Dann steig der grauenvolle Pfad, die
Luft wurde freier und in einem dichtem Gebüsch in der jenseitgen
Muldaue kamen sie wieder an die freie Luft. Das tat der Fürstin wohl,
und wenn sie sich auch fröstelnd in ihren Mantel hüllte, schritt
sie doch rüstig aus, immer hinter der Führerin her, um so blad
als möglich ans Ziel zu kommen.
Durch Auen und Wiesen ging es in der dunklen und stürmischen Nacht,
bis sie endlich vor einem kleinen Fischerhause am Ufer der Mulde bei Kleutsch
standen. Dort hielt die Führerin an und bat die Fürstin, einzutreten.
Die Fürstin tat dies und fand, wie die Wendin gesagt hatte, eine
Frau in Kindesnöten. Die Fürstin, in allen Diensten der Nächstenliebe
erfahren, half ihr getreulich und wurde dann von der Wendin, die sie geholt
hatte, auf dem gleichen Wege ohne alle Fährnis wieder in ihr Gemach
geleitet. In einer der folgenden Nächte kam die Frauensperson mit
der Laterne abermals an das Bett der Fürstin, dankte namens ihrer
Frau vielmals für das, was die Fürstin an ihr getan, und übergab
ihr als Zeichen ihrer tiefen Dankbarkeit den Ring, wobei sie hinsichtlich
der Bedeutung desselben und der Feuerbewahrung das gleiche sagte, was
schon aus der zuerst erzählten Form der Sage bekannt ist.
Wie es die Geberin geheißen,
so wurde der Ring immerdar sehr sorgsam aufbewahrt. Als er einmal für
kurze Zeit in Verlust gekommen war, soll es der Sage nach in der Tat zu
einem Unglück geführt haben.
Auch wurden von da ab an jedem Weihnachtsabend alle Feuer im Schlosse
gelöscht, und der Hausmeister musste durch alle Räume Rundgang
halten, auf daß dem Schlosse kein Brandschaden zustoße. Daran
hat man hundert Jahre und mehr festgehalten.
Quelle:
Heese, Bernhard (Herausgeber)
Anhaltisches Sagen- und Geschichtenbuch
Reprint der Ausgabe Dessau, Heimatbücher, 1925
Dessau, Anhaltische Verlagsgesell, 1991
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